Institut für Gesprächs- und Focusingtherapie

Rainer Eggebrecht: Sieben kurze Lektionen über moderne Psychologie

Buch:      ISBN: 978-3-7448-0326-7    Verlag: BoD-Verlag 2017, Preis: 11,80 €
E-Book:  ISBN: 978-3-7448-2676-1    Verlag: BoD-Verlag 2017, Preis:  6,49 €

ab August 2018 auch in Englisch: Seven Short Lessons about Modern Psychology

Klar strukturiert, geduldig und für den interessierten Laien verständlich legt der Autor hier so etwas wie die Quintessenz seiner über dreißigjährigen therapeutischen Erfahrung und Forschungstätigkeit dar.

Ein spannendes Kompendium über die Stärken – aber auch Grenzen – wissenschaftlich-psychologischer Erkenntnis, wobei sich psychologische Schulen, kulturwissenschaftliche und spirituelle Anschauungen zu einer ganzheitlich-integralen Sichtweise verdichten.

Als informativer„Bonus-Track“ werden im letzten Kapitel aktuelle sozialstatistische Daten beigefügt.

Rainer Eggebrecht vereint in diesem Buch unterschiedliche Spezialdisziplinen – auf das Wesentliche konzentriert – und zeigt Möglichkeiten auf, wie wir auch in Zeiten permanenten gesellschaftlichen Wandels und medialer Überinformation unser Leben mit schöpferischer Energie und Lebensfreude bewältigen können.

Leseprobe

 Vorbemerkung
Diese Lektionen wurden für Leser geschrieben, die wichtige und faszinierende psychologische Sichtweisen allgemein verständlich, kurz und auf das Wesentliche konzentriert kennenlernen möchten. Dabei blicken wir über den Tellerrand klassisch psychologischer Forschungsmethoden hinaus – denn nur eine interdisziplinär-humanwissenschaftliche Gesamtschau wird uns befähigen, unsere Zukunft und die der gesamten Biosphäre lebenswürdig gestalten zu können.

Die erste Lektion zeigt die Grundhaltungen einer Humanistischen Psychologie und gibt wahrnehmungspräzisierende Hilfestellungen anhand der Focusing-Methode.
Die zweite Lektion formuliert die Frage nach dem Sinn,
in der dritten werden Anregungen zum systemischen Denken und Handeln gegeben.
Die vierte Lektion wendet sich der Entwicklungsspirale allen Lebens zu und gibt Empfehlungen, was wir aus vergangenen Zeiten heute neu und fruchtbar wieder beleben sollten.
In der fünften Lektion erfahren Sie ein Kommunikationsmodell, das seit den 80er-Jahren immer weitere Verbreitung fand.
In der sechsten Lektion wenden wir uns spirituellen Aspekten zu und in der siebten Lektion vernetzen wir all diese Sichtweisen zu einer integralen Psychologie.

Im Anhang  als statistisch- intellektuellen „Bonus-Track“ erfahren Sie kurz und verdichtet psycho-soziologische Fakten zur derzeitigen Lage in Deutschland, sowie wichtige Erkenntnisse führender Zukunftsforscher.

Persönliche Einleitung
Als junger Max-Planck-Stipendiat wurde ich in den 80er-Jahren eingeladen, an einem naturwissenschaftlichen Kongress in Bad Homburg teilzunehmen.
Nach einigen Vorträgen betrat Hans-Peter Dürr, der berühmte Quantenphysiker und alternative Friedensnobelpreisträger, das Podium. Er stellte Einsteins Relativitätstheorie dar – einfach und verständlich! Selbst seine physikalischen Fachkollegen applaudierten heftig. Und mir als naturwissenschaftlichem Laien wurde klar: das ist wahre Kompetenz: schwierige Sachverhalte ohne qualitative Einbußen einfach und verständlich darzustellen!

Seitdem habe ich mit Hans-Peter Dürr in Arbeitskreisen und Öffentlichen Diskussionsforen immer wieder diskutiert. Er betonte den „Mut zur Unexaktheit“, denn: „Die Wirklichkeit ist noch unendlich viel offener als jede wissenschaftliche Erklärung“ selbst als jede quantenphysikalische Erkenntnis. Und: Mit jedem Gedanken wird das Universum größer. 2014 fiel mir bei einer Italienreise ein Buch von Carlo Rovelli in die Hände: „Sette brevi lezioni di fisica“ (Sieben kurze Lektionen über Physik). Wieder Quantenphysik! Und wieder staunte ich: ein weltweit anerkannter italienischer Physiker schrieb über Quantenphysik – neunzig Seiten klar verstehbar und – adrenalinico! – ungemein aufregend und spannend!

Da reifte in mir der Entschluss, im Bereich Psychologie ebenfalls etwas Ãhnliches zu versuchen: komplexe Erkenntnisse, Fachtermini und (oft einseitige) Sichtweisen präzise und klar verstehbar darzustellen. Als Therapeut, Ausbilder in Gesprächs- und Focusingtherapie und als Focusing-Koordinator für Deutschland habe ich dafür inzwischen langjährige praktische und theoretische Erfahrungen sammeln können.

Nochmals Hans Peter Dürr: Er bestätigte mir bei einer Podiumsdiskussion in Schloss Nymphenburg öffentlich, dass der von mir vertretene integral-offene Psychologieansatz durchaus den Forschungsergebnissen der Quantenphysik entspricht: denn physikalisch gesehen sind die wahren Bausteine des Universums nicht Materie, sondern Energie und Information. Und die wahren Bausteine der Wahrnehmung sind nicht unbewusste, irgendwie verdrängte feststehende Inhalte, sondern vorbewusste, oft diffuse Befindlichkeiten, welche durch achtsames Wahrnehmen in einem kreativen Akt als Gefühle, Bilder, Gedanken und Körperempfindungen neu im Bewusstsein entstehen. Und so wie elektronenmikroskopische Untersuchungen das zu untersuchende Objekt verändern, so beeinflusst auch die Art und Weise der psychologischen Wahrnehmung immer schon das Ergebnis.

Ich wünsche Ihnen eine interessante und anregende Lektüre!  Rainer Eggebrecht, im Frühjahr 2017

Weitere Leseproben:

Mitgefühl und Empathie   (aus Seite 7)
Empathie ist die Fähigkeit, zu verstehen, was in uns und in anderen vor sich geht. Empathie verlangt eine gewisse Bereitschaft, sich in andere und uns selbst mitfühlend hinein zu versetzen. Mitgefühl weist ein wichtiges Element auf: das Nicht-Werten. Das bedeutet, dass wir uns auf die eigenen Emotionen und auf die anderer Menschen einlassen, ohne gleich zu urteilen oder zu werten. Das heißt nicht, dass wir keine Präferenzen haben oder alles akzeptieren sollten. Wir sollten nur offen bleiben für korrigierende, heilsame neue Erfahrungen, und nicht unreflektiert verurteilen. Mitgefühl ist immer verbunden mit Akzeptanz – damit, was unser Gegenüber braucht, um seine „Schatten“ zu erkennen. Und was ihm hilft, den für ihn nächsten wichtigen Schritt in seinem Leben zu finden.

Ein etwas sarkastischer Witz über unechte Empathie und „rücksichtslose“ Akzeptanz:
Klientin zum Therapeuten: Ich bin manisch-depressiv. Mein Mann macht mich melancholisch, mein Sohn macht mich wütend und meine Tochter macht mich eifersüchtig. Ich bin am Ende!
Darauf der Therapeut: Ist es nicht auch etwas Schönes, so stark empfinden zu können?

Nun aber eine wirklich schöne Story über authentische Weisheit:
Eines Tages ging ein alter Häuptling mit seinem Enkel den Fluss entlang und erzählte ihm, dass unser Geist wie der Fluss ist: immer fließend. Aber im Wasser gibt es verschiedene Strömungen, und so ist es auch in unserem Geist. In seinem Inneren, sagte der alte Häuptling, könne er manchmal zwei Wölfe spüren: Einer ist sanft und freundlich und ist ein Sucher des Friedens, während der andere voll Wut und aggressiv ist. Der Enkel schaute den alten Mann staunend an und fragte: Aber wer wird denn gewinnen, Großvater? Der alte Häuptling antwortete: Immer der, den ich füttere.

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Achtsamkeit und Authentizität
Aufmerksam im gegenwärtigen Moment zu sein, ohne zu werten oder zu urteilen, führt zu einem wachen, authentischen Bewusstsein. Man ist dann einfach im Fluss des Moments. Wie Therapeuten und Meditationslehrer immer wieder betonen, existieren wir immer exakt nur in diesem einen Moment, im „Jetzt“. Freiraum-Schaffen ist dabei der erste Schritt. Er hilft uns, bewusster und vertrauter mit unserem Körper, unserem Geist und unserer Seele umzugehen. Wir treten innerlich zurück und beobachten einfach, was jetzt gerade in uns vor sich geht.

Es ist aber nicht ganz leicht, in der Präsenz nur Beobachter zu sein – denn dies kann zum Einen faszinierend sein, bringt uns oftmals aber auch mit Themen in Kontakt, die wir bisher „gut“ weggeschoben haben. Achtsame Authentizität erfordert Mut, hemmende Selbstwertprobleme zu erkennen und diese einfühlend zu fokussieren und zu akzeptieren.

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Focusing – Basics integraler Wahrnehmungsschulung    (aus Seite 9)
Focusing ist die Kunst, unsere Aufmerksamkeit immer wieder von konkreten Gedanken, von der Imagination zum Erleben des Ganzen ins Hier und Jetzt zu führen und von dort neue Schritte zu erwarten. Wenn wir ein gerade anstehendes Thema unmittelbar erleben, können sich , wenn wir freundlich, wertfrei und einfühlend dabei verweilen, Bedeutungen sprachlich, bildhaft oder körperlich mitteilen, wodurch ein unmittelbar ganzheitliches Gefühl von Stimmigkeit entsteht. Man tritt dabei als sein eigener innerer Beobachter aus einer kleinen inneren Distanz in Beziehung zu der noch nicht „entfalteten“ gefühlten Bedeutung und wartet geduldig, was in die Wahrnehmung kommt. Dies fördert eine offene Selbstwahrnehmung, deren Form und Richtung in hohem Maße vom Klienten selbst bestimmt wird. Die Autonomie und Freiheit eines jeden Individuums wird hierbei aus einem tief humanistischen Verständnis heraus stark betont. In schöpferischem Selbsterkunden werden Sprache, bildhaftes Erleben, Denken, Fühlen und Handeln im unmittelbaren Erleben aufeinander bezogen. Dabei wird achtsam Bezug genommen auf ein tiefes, auch körperlich spürbares Bedeutungsempfinden. Dann stellt man wahrnehmungsorientierte Fragen, die nicht mit Ja oder Nein beantwortet werden können – man muss erst nachdenken und nachspüren (fokussieren).

Focusing als Wahrnehmungsmethode bringt Sie in Berührung mit dem, was Sie hinter all Ihren Konzepten in Ihrem Inneren fühlen und empfinden. Die folgende Aufgliederung in vier Schritte stellt nur einen Versuch dar, intuitive Wahrnehmung über Worte kognitiv mitzuteilen. In jedem Schritt kann immer schon alles andere enthalten sein – die richtige Frage bewirkt manchmal bereits ein tieferes Erkennen und Wahrnehmen eines Problems.

Die Schritte der Focusing-Methode in Kurzform
Freiraum schaffen: Hierzu benötigt man etwas Zeit und eine entspannte Umgebung. Versuchen Sie, einen guten Abstand zum inneren Erleben zu finden und Raum zu schaffen für das Thema, auf das Sie fokussieren möchten. Sie können ein Thema bewusst auswählen – oder einfach abwarten, was auftaucht.

Bezug nehmen: Spüren Sie in den Brust- und Bauchraum hinein und nehmen Sie die innere Stimmung wahr. Diese ist oft zuerst diffus und vage – verweilen Sie einfach dabei und warten Sie ab, was sich aus diesem vagen Spüren als nächstes deutlicher heraus differenziert.

Entfalten: Im Laufe dieses Wahrnehmungsprozesses werden sich Bilder, Gefühle, Gedanken oder Körperempfindungen aus dem diffusen Spüren (= Felt sense) deutlicher „entfalten“. Bleiben Sie dabei und verfolgen Sie interessiert – aber ohne wertend und ungeduldig einzugreifen -, wohin und in welche Richtung sich Ihr Gefühl, Ihr Gedanke oder Ihr inneres Bild „entwickelt“.

Annehmen und schützen: Das eventuell gefundene Ergebnis und die entstandene Veränderung lassen Sie in Ihrem Befinden nun dankbar nachklingen. Stellen Sie alle Versuche Ihres (oft viel zu schnellen) Verstandes, alles sofort analysieren und begreifen zu wollen, zunächst zur Seite. Bildlich gesprochen: Schützen Sie das neue, vielleicht etwas zittrige, aber stimmige Empfinden vor den analytischen Fragebomben Ihres Über-Ich-Geschwaders! Ihre inneren Kritiker dürfen sich später wieder melden – aber nicht gleich jetzt! Lassen Sie das neu und tief körperlich Gespürte in Ruhe nachwirken (Vielleicht schlafen Sie erst mal darüber).
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Einige Beispiele für offene Wahrnehmungsfragen:

  • Was ist das Wichtigste, die Mitte meines Themas? (präzisieren)
  • Wie fühlt sich das Ganze jetzt für mich an? (Gefühl, Bezug nehmen)
  • Gibt es vielleicht ein Wort – ein Eigenschaftswort oder zwei – das genau ausdrückt, wie es mir gerade geht? Oder einen Satz?  (Kognition)
  • Was bräuchte ich, um mich besser zu fühlen? (next step)
  • Was könnte schlimmstenfalls / bestenfalls passieren? (Folgen fokussieren)
  • Stell Dir vor, dein Problem wäre plötzlich auf wundersame Weise gelöst – wärst du dann glücklich und zufrieden? (systemische „Wunderfrage“)————————————————————————————————-

Zeitgemäßes Focusing: Aufgaben und Möglichkeiten    (Seite 11)
Das, was ich unter Focusing verstehe, bekommt gerader in unserer Zeit eine immer wichtigere Bedeutung, denn sowohl Wissenschaft wie gesellschaftliche Traditionen wirken heute nur noch bedingt positiv sinnstiftend. In gewissem Sinne sind wir am Ende der Aufklärung angelangt. In unserem Jahrhundert wird es vermutlich so viele Veränderungen geben wie in den letzten 20.000 Jahren der Menschheitsentwicklung. Für diese sich immer rascher verändernde Zukunft kann uns eine neue Denkqualität und Wahrnehmungstiefe helfen, die uns befähigt, mit immer komplexeren Problemen kompetent umzugehen.
Focusing berücksichtigt genau diese Interaktionen, durch die neues Fühlen geschaffen wird. Durch „In-Berührung-Sein-mit“ entsteht Neues auf unmittelbare und direkte Weise.
Der Theaterregisseur Stanislawski fordert von seinen Schauspiel-Schülern, dass sie zunächst ganz still sind und dass sie in sich ein Fühlen entstehen lassen, das seine eigene Richtigkeit hat. Erst dann dürfen sie aufstehen und spielen, sodass ihr Spielen sich aus diesem neu gebildeten inneren Befinden (Felt-sense) heraus entwickeln kann. Die richtigen Haltungen und Bewegungen kämen dann von selbst.
Wir sind in einer Krise, die ein Umdenken erfordert und es ist wichtig, dass jeder in sich selbst wieder einen sinnhaften Bezugspunkt findet. Denn in jeder Situation entsteht etwas einzigartig Neues, das so in keiner Weise zuvor als fester Bestandteil schon da war. Eine Situation wird „vorangetragen“ (Gendlin: carrying forward) und Kontexte werden immer weiter „angereichert“.

Das Wort Katastrophe“ bezeichnet im Griechischen die gefährliche Kurve bei antiken Wagenrennen, an der so mancher Wagenlenker sein Gefährt zum Kippen brachte. Das Wort ist damit aber keine Aufforderung zum Stillstand im Status quo oder gar zum Rückwärtsgang, sondern vielmehr eine Aufforderung zur Achtsamkeit beim Richtungswechsel. Genau das findet derzeit statt und steht uns weiter bevor. Ziel einer Krise ist es, Vorstellungen von Wirklichkeit, deren Zeit abgelaufen ist, durch ein komplexeres, integrales Verständnis abzulösen.

Moderne Kommunikationsmedien bieten uns heute eine noch nie dagewesene Fülle an permanenter (Über-)Information. Frage: was ist gut? Eine Stunde Zeitung lesen pro Tag ? oder fünf Stunden? Man kann das heute nicht mehr sagen. Jeder kann und muss an sich selbst überprüfen, was und wie viel von etwas ihm gut tut. Dazu brauchen wir nicht nur logisches Denken – wir brauchen Gefühle, Erfahrungswissen, Bilder, Körperempfindungen sowie Intuition in einem tieferen Sinne, um in einer komplexen und vernetzten Wirklichkeit eigene Sinnfragen befriedigend beantworten zu können. Hierfür stellt Focusing ein ideales Werkzeug zur Verfügung.